Nr. 3 von 10…

…Dingen, die ich im Vikariat gelernt habe: Zu Hause ist es immer am schönsten.

Wenn Kirchenmitglieder gefragt werden, wie verbunden sie sich der evangelischen Kirche fühlen (das hat z.B. die aktuelle Mitgliedschaftsstudie getan), fühlt sich knapp die Hälfte „sehr bis ziemlich verbunden“ und etwa ein Drittel „kaum bis überhaupt nicht verbunden“.

Ja, so ist es nun mal. Die „sehr bis ziemlich Verbundenen“, das sind doch die, die jeden Gottesdienst besuchen, bei jedem Gemeindefest hinter der Kuchentheke oder der Grillstation stehen und sich seit vielen Jahren in der Gemeindeleitung engagieren – manchmal trifft auch nur eins davon zu. Fragt man sie, wie verbunden sie sich der evangelischen Kirche fühlen, runzeln sie bestimmt die Stirn und wundern sich über diese seltsame Frage nach so etwas Offensichtlichem. Genauso gut hätte man sie fragen können, ob ihnen ihr Zuhause gefällt – für manche gibt es da keinen Unterschied.
Und die „kaum bis gar nicht Verbunden“, das sind doch diejenigen, die die andere Gruppe scherzhaft als „U-Boot-Christen“ bezeichnet (weil sie Weihnachten und Ostern auftauchen) – wobei ich mich frage, was daran lustig sein soll, aber das ist ein anderes Thema. Und die, die man gar nicht kennt, deren Name dir zum ersten Mal begegnet, wenn dir im Presbyterium die Liste mit den Kirchenaustritten im Presbyterium zur Kenntnisnahme vorgelegt wird…

Ob man wirklich vom Grad der Verbundenheit auf die christlich-religiöse Einstellung der Mitglieder schließen kann und umgekehrt, wage ich zu bezweifeln. Obwohl es in manchen Fällen sicherlich geht. Das ist auch nicht die Frage, die mich reizt. Spannend finde ich aber, dass ich „in echt“ oft schon einen Zusammenhang beobachtet habe zwischen dem Verbundenheits- und einem Zuhause-Gefühl. Die einen finden z.B. unsere beiden Kirchen „totaaal schön, da fühlt man sich richtig wooohl“ und sind froh, dass es da immer „so gemüüütlich“ ist. Damit meinen sie den Kirchraum mit seiner Architektur (im Gemeindezentrum integriert), Farbgebung und Material (roter Backstein) und die Atmosphäre, die Personen und Veranstaltungen schaffen (viele Möglichkeiten für Gespräch und Begegnung).
Die anderen, ja, die anderen…? Die fühlen sich in der Gemeinde wohl nicht so wohl. Vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen gemacht. Vielleicht haben sie andere Ansprüche. Vielleicht haben sie schon ein Zuhause, zu Hause nämlich.

Und dann gibt es ja noch die dritte Gruppe, die in der Studie und „in echt“ auftaucht, die „etwas Verbundenen“ nämlich, und das sind gar nicht mal so wenige, sondern jedes vierte Kirchenmitglied, also 25%. Wie das geht, „etwas“ mit Kirche verbunden zu sein?, fragen sich manche und bestätigen damit nur das Vorurteil, das ja anscheinend immer noch existiert, dass man in der Kirche entweder ganz oder gar nicht ist: „Wenn du den kleinen Finger reichst, nehmen die den ganzen Arm!“ – die einen finden sowas lustig, die anderen einfach nur abschreckend.

Ja, das geht, „etwas“ verbunden mit Kirche zu sein. Gezielt Veranstaltungen zu besuchen, sich aus einer Angebots- und Gottesdienstpalette herauszusuchen, was am besten passt und manchmal nicht das persönliche Interesse, sondern den biographischen Wendepunkt im eigenen Leben oder den des Kindes über die Wahl entscheiden zu lassen. Oder den persönlichen Geschmack, was Einrichtung angeht. Die Kirche, in der es dieses uralte Taufbecken und außerdem einen Mittelgang gibt, entspricht vielleicht nicht nur dem persönlichen, inneren Bild von Kirche, sondern auch dem eigenen, stilvollen Zuhause.

Zu Hause ist es immer am schönsten. Und manchmal ist die Kirche das erweiterte Wohnzimmer. Wo die einen sich schon eingerichtet und die anderen einen anderen Geschmack haben. Wo die einen die Gäste und die anderen die Gastgeber sind. Wo die einen möchten, dass man nichts anrührt („Das haben wir schon immer so gemacht!“) und die anderen auch nur irgendwo ihren Lieblingsplatz finden wollen. Wo die einen einladen und trotzdem nicht alle kommen.

Dass mich das sehr beschäftigt, muss ich wohl nicht noch extra sagen. Die Vikariatsgemeinde war für mich in den letzten zweieinhalb Jahren sowas wie ein Zuhause. Eins, das ich für eine sehr lange Zeit besucht habe. Denn ich war hier Gast und ich war es gern. In dieser Zeit habe ich andere Gäste kommen und gehen und bleiben sehen; die Haustür ging immer wieder auf und zu. Irgendwann durfte ich dann auch auf die Gastgeberseite, durfte einladen, empfangen, willkommen heißen. Und habe da gemerkt, wie sehr mir dieser Aufenthaltsort schon zu so etwas wie einem Zuhause geworden war. Wie schnell mir vertraut wurde, was mir erst fremd war. Wie schnell ich mich doch eingerichtet hatte in dem Geschmack der anderen.

Bald werde ich mich verabschieden und dann wieder ganz auf der anderen Seite der Haustür stehen. Da, wo ich schon mal stand, im April 2012, als ich hier angeklopft habe. Und dann werde ich in eine andere Richtung gehen. Mir ein neues sowas-wie-ein-Zuhause suchen. Und mich weiter mit diesen Fragen beschäftigen, egal wo ich sowas-wie-zu-Hause bin: Wann wird eine Gemeinde ein Zuhause? Wer ist eigentlich Gastgeber und wer Gast? Wer lädt überhaupt wen ein? Wer bestimmt die Einrichtung, wessen Geschmack zählt? Auf welche Art und Weise wird Besuch willkommen geheißen, und wie wird er verabschiedet? Darf ich hier auch auf eine Stippvisite vorbeikommen oder muss ich ein Jahresabo abschließen? Wer fühlt sich hier wohl und warum? Wem ist diese Gemeinde ein Zuhause und weshalb?

Ich glaube, dass das wichtige Fragen sind. Als (angehende) Pfarrerin gebe ich mich nicht zufrieden damit, wie es/die Welt/die Gemeinde gerade ist oder immer schon war. Inmitten von Sparzwängen („Jetzt kürzen die uns auch noch…“) und Angebotsdruck („Was sollen wir denn bloß anbieten, damit die Leute kommen?!“) helfen solche Fragen, um Betriebsblindheit und Elfenbeinturmdenken („Es ist doch alles schön, so wie es ist…“) vorzubeugen bzw. abzubauen und die Komfortzone zu verlassen.

Der Apostel Paulus schreibt in einem Brief an seine Gemeinde in Ephesus: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Aposteln und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“ (Eph 2,19-22)

Zu Hause ist es immer am schönsten. Aber was ist das, schön?!
Zu Hause ist es immer am schönsten. Aber was ist das, Zuhause?!

Ich werde mich das weiter fragen, werde suchen und finden und verwerfen und umdenken, denn das habe ich im Vikariat gelernt. Und ihr?

P.S.: Mit der Frage, wie sich dieses Zuhause eigentlich präsentiert, beschäftige ich mich beim nächsten Mal, also in der Nr. 4 von 10 Dingen, die ich im Vikariat gelernt habe. Man liest sich!

P.P.S.: In unserem nächsten Gemeindebrief (ab Dezember hier zum Runterladen) wird es verschiedene Beiträge geben, die sich mit dem Thema Kirche und Zuhause beschäftigen; auch solche, die weiter oder in einem anderen Kontext denken: „…und sie fanden keine Herberge.“

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